Das Licht der Morgenröte geht der Sonne voraus, und Sanftmut ist der Vorbote jeder Demut. Hören wir daher auf das Licht, das uns die Reihenfolge offenbart: „Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen“ (Mt 11,29 Vulg.). Bevor wir also die Sonne betrachten, müssen wir von der Morgenröte erleuchtet werden; dann werden wir den Anblick der Sonne ertragen können. Denn es ist unmöglich, absolut unmöglich, die Sonne zu betrachten, bevor man dieses Licht erfahren hat, wie uns die jeweilige Platzierung dieser beiden Tugenden im Wort des Herrn lehrt.
Sanftmut ist ein unveränderlicher Zustand des Verstandes, der sowohl in Ehren als auch in Demütigungen stets gleich bleibt. Sanftmut bedeutet, dass wir, wenn wir von unserem Nächsten gequält werden, für ihn beten, und zwar aufrichtig, ohne auf seine Taten zu reagieren. Sanftmut ist ein Fels, der sich über das Meer des Jähzorns erhebt und an dem alle Wellen brechen, ohne ihn jemals zu erschüttern. Sanftmut ist die Stütze der Geduld, das Tor oder vielmehr die Mutter der Nächstenliebe, das Fundament der Besonnenheit; denn es steht geschrieben: „Der Herr wird den Sanftmütigen seinen Weg lehren“ (Ps 24,9 LXX). Sie verschafft Vergebung der Sünden, sie schenkt Vertrauen im Gebet, sie ist die Wohnstätte des Heiligen Geistes: „Auf wen soll ich meinen Blick richten, wenn nicht auf den Sanftmütigen und Friedfertigen?“ (Jes 66,2 LXX)
Sanftmut ist die Gehilfin des Gehorsams, die Richtschnur der brüderlichen Gemeinschaft, die Mäßigung des Wütenden, die Hemmschwelle des Jähzornigen, eine Quelle der Freude, die Nachahmung Christi, eine Eigenschaft der Engel, die Fessel der Dämonen, ein Schutzschild gegen Bitterkeit. In sanftmütigen Herzen ruht der Herr; doch die stürmische Seele ist der Sitz des Teufels.
Quelle: Evangelizo