[Die heilige Hildegard beschreibt eine Vision über die Auseinandersetzung zwischen Lastern und den entsprechenden Tugenden:]
Die Worte der Weltsorge: „Welche Aufregung ist besser als die Aufregung um die Welt? […] Wenn ich meine Knie beugen würde, würde ich davon weder Speise noch Kleidung bekommen [...]. Deshalb werde ich alles, was ich in Gedanken, Worten und Werken erwerben kann, an mich ziehen, damit ich auf der Erde leben kann.“
Die Antwort des Himmelsverlangens: „[…] Was sagst du da? Dein Geist ist betrügerisch, weil du nicht auf Gott vertraust, der alles Notwendige gewährt. Denn wie der Körper ohne die Seele nicht leben kann, so wächst auch keine Frucht der Erde ohne Gottes Gnade. […] In all deiner Aufgeregtheit verlangst du nicht nach Gott und suchst ihn nicht. […] Ich aber [bin] das Leben und die Grünkraft in allen guten Werken und das Halsband aller Gotteskräfte. […] Ich suche nichts anderes, ersehne nichts anderes und will nichts anderes als das, was heilig ist. Daher bin ich das Psalter und die Harfe seiner Lieblichkeit. Auf diese Weise bin ich himmlisch in allen Anliegen.“
Die Weltsorge […], das heißt die Beschäftigung mit weltlichen und irdischen Angelegenheiten [hat] einen Geist, der in Torheit und in lautem Lärm überall herumläuft. Denn die Menschen, die diesem Laster huldigen, erleiden gewaltige Unruhe sowohl in der Seele als auch im Körper, dennoch ergötzen sie sich daran, als wären sie in einer großen Ruhe. Was nämlich für andere Menschen Unruhe ist, das ist für sie die Ruhe; und was für andere Ruhe ist, das ist für sie Unruhe durch dieses Laster. […] Die Wahrnehmung und das Herz solcher Menschen [sind] so sehr in die Schwärze der irdischen Sorgen und Beklemmungen verwickelt und verstrickt, dass sie, entblößt von der höchsten Seligkeit, ihnen mit größter Wonne anhangen, als ob sie mit Annehmlichkeit in einer Badewanne sitzen würden. […] All ihre Absichten und all ihr Streben richten sie auf die weltlichen Dinge und drängen mit glühendster Beschäftigung nach dem, was vergänglich und hinfällig ist […]. Der getreue Mensch aber soll den Pflug mit den Ochsen so ergreifen, dass er dabei auf Gott schaut […]. Und er soll mit den Geboten seines Lehrers so wandeln, dass er, während er sich um das Irdische kümmert, das Himmlische nicht vernachlässigt.
Quelle: Evangelizo