Als der herrliche Mann Polykarp hörte, man habe ihn verlangt, blieb er vollkommen ruhig. Er wollte sogar in seiner Stadtwohnung bleiben. Aber die meisten von den Brüdern rieten ihm, sich zu verbergen. So zog er sich denn auf ein kleines Landgut zurück, das nahe bei Smyrna lag. Dort verweilte er mit wenigen Getreuen und gab sich Tag und Nacht nur dem Gebet hin, für alle Menschen und für alle Kirchen im ganzen Imperium. So war es ihm liebe Gewohnheit. […]
An einem Freitag zur Stunde des Mittagsmahles zogen sie aus: […] Polizei, eine berittene Abteilung samt der üblichen Waffenausrüstung – zogen aus „wie gegen einen Räuber“ (Mt 26,55). Spät am Abend kamen sie vor dem Landhaus an und fanden Polykarp, der in einem Zimmer des oberen Stockwerkes bereits zur Ruhe gegangen war. Noch hätte er von da aus anderswohin fliehen können. Aber er wollte nicht und sagte: „Gottes Wille geschehe!“ Als er sie unten lärmen hörte, stieg er die Treppe hinab und begann ein freundliches Gespräch mit ihnen. Als die Häscher ihn erblickten, waren sie erstaunt über sein hohes Alter und seine Seelenruhe und meinten, so viel Aufwand hätte es nicht gebraucht zur Verhaftung eines uralten Mannes. Polykarp aber gab Befehl, ihnen sofort Essen und Trinken vorzusetzen, soviel sie wollten. Dann bat er sie, ihm noch eine Stunde zu ungestörtem Gebet zu gewähren. Die Häscher waren einverstanden, und nun stand Polykarp aufrecht hin und begann zu beten. Er war so überströmend voll von göttlicher Gnade, dass er fast zwei Stunden lang seinem Beten nicht Einhalt zu bieten vermochte. Die Häscher, welche zuhörten, waren peinlich berührt, ja manche bereuten es geradezu, dass sie gegen einen so gotterfüllten Greis zu den Waffen gegriffen hatten.
Endlich kam er zum Gebetsschluss. Er machte darin ein Memento für alle Menschen, denen er jemals im Leben begegnet war, für Kleine und Große, für Vornehme und Geringe, ja für die ganze katholische Kirche auf dem Erdenrund. Dann kam der Augenblick, wo man aufbrechen musste. Sie setzten ihn auf einen Esel, und so ritt er gegen die Stadt zu (vgl. Mt 21,7; Joh 12,15). Es war aber an einem Sabbat.
Quelle: Evangelizo